High..lights
15. August 2015 von TiDo

Auf dunklen Pfaden

Es war eine ruhelose Nacht. Der Wind peitschte ununterbrochen von einer Seite gegen das Zelt, was für eine halbe Stunde auch irgendwie romatisch war, danach aber doch zu nerven beginnt. Es ist eben was anderes, als in einem festen soliden Auto zu schlafen. Wahrscheinlich sind wir sogar ein paar mal wirklich weggenickt, aber insgesamt würde ich nicht behaupten wollen, geschlafen zu haben.
Irgendwann wurde es auch draußen unruhig, man hörte leißes Tuscheln, Leute die herumliefen und das übliche Geräusch, wenn man die Oberflächen von Funktionskleidung aneinander reibt. Wir dachten zwischenzeitlich schon, man hätte vergessen uns zu aus dem Zelt zu holen, da offenbar die ersten schon aufbrachen. Wir schätzen, dass Alan etwa zwei Stunden danach bei Daniel ans Zelt klopfte. Unser Wecker hatte schon ein paar Minuten vorher geklingelt und wir zogen uns bereits an. Es war gerade kurz nach 2:00 Uhr … natürlich Nachts.
Unsere zwischenzeitliche Befürchtung, verschlafen zu haben, war also unbegründet. Als wir aus dem Zelt stiegen, bestätigte sich aber unsere Vermutung, dass erste Gruppen bereits gegen Mitternacht losgelaufen sein müssen. Ein Blick in Richtung Berg zeigte eine Kette an leuchtenden Stirnlampen im stockdunklen Himmel. Sie zog sich entlang des zu erahnenden Kamms fast bis zur Hälfte des Weges hinauf. Nun gut, wir verließen uns auf die Einschätzung unbekannter Quelle, dass der Aufstieg bei normalem Tempo etwa zweieinhalb Stunden dauern würde.

Nach einem kurzen Frühstück mit Tee, Kaffee und Keksen ging es los, Alan erstmal voraus. Bereits gestern glaubte man zu erkennen, eines der steilsten und damit schwersten Abschnitte wäre der Anfang gleich hinter dem Camp. Dies schien sich zu bestätigen. In der Rushhour ging es bei starker Steigung durch feinsten losen Untergrund. Überall hörte man Wanderer aufs übelste husten und spucken. Wir hatten alle mit der Luft zu kämpfen, aber besonders Daniel schien unter den schlechten Atembedingungen zu leiden und viel langsam zurück. Er war in der Masse bald nicht mehr zu erkennen, wobei man hier die Leute nur an der Art der jeweiligen Stirnlampe unterscheiden konnte. Wir riefen hin und wieder seinen Namen und bekamen anfangs auch meist eine Antwort. Im Glauben, das schlimmste hinter uns zu haben, erreichten wir mit Alan den eigentlichen Kamm. Da wir soweit keine wirklichen Probleme hatten, rieten wir ihm, auf Daniel zu warten. Wir ließen Alan also hinter uns und begannen nun den gemütlichen Teil des Aufstiegs … zunächst.
Die Reihen hatten sich etwas gelichtet, sodass man relative Ruhe hatte, der Weg war gut zu laufen. Allerdings wehte ununterbrochen ein sehr starker Wind von links Staub und Dreck über die Kuppe, während es rechts steil in den Krater hinunterzugehen schien. Zumindest zeigte sich beim gelegentlichen Leuchten über den Rand keinen Hang oder gar Boden … sehr beruhigend bei Sturm von der anderen Seite. Der Weg zog und zog sich, immer öfter passierten wir vereinzelte Menschen oder kleinere Gruppen, die sich, teilweise am Boden liegend, hinter Steinen oder kleinen Felsvorsprüngen vor dem immer stärker werdenden Wind und der damit verbundenen Kälte zu schützen versuchten. Wir waren aber soweit ganz gut angezogen und die Bewegung tat ihr übriges.
Es war in der Dunkelheit nicht zu erkennen, wie weit es noch ist, die Entfernung der Lampen voraus kaum einzuschätzen. Ein paar mal meinte ich noch zu Doreen, es könne nicht mehr sooo weit sein, was vielleicht gar nicht so falsch war. Leider nur hat die Entfernung mit dem Terrain und dem damit verbundenen zeitlichen Aufwand nichts zu tun. Es wurde wieder steiler und immer steiler. Und als ob das, der Sturm und die staubige Luft nicht schon genug wären, begann nun auch der Untergrund verhindern zu wollen, dass wir unser Ziel erreichen. Was gerade noch festes Gestein war, wandelte sich nun mit jedem weiteren Meter zu losem Schotter. Mit jedem schweren Schritt schob man eine kleine Lawine der Weg hinab in Richtung des nachfolgendem Wanderes. Es fühlte sich an, wie auf einer Rolltreppe, die nach unter fährt. Zwei gegangene Meter brachten einen selbst nur einen Meter nach vorn. Ein paar Tschechen versuchten es auf allen Vieren, kamen aber auch nicht schneller voran. Es begann sich sehr großer Frust breit zu machen, denn man war inzwischen absolut kaputt, kam nicht voran, hatte kein Gefühl von Zeit, keine Ahnung, wie weit es noch ist. Es wäre gelogen, würde man sagen, dass einem nicht hin und wieder ein „Warum“ oder gar „Umkehren“ in den Sinn kam. Aber ein zurück kam natürlich nicht in Frage und so quälte man sich langsam voran. Keine Hektik, aber eine Art zusätzliche Motivation war der nun langsam glimmende Horizont, der mittlerweile deutlich zu erkennen war. Wir wollten natürlich ganz oben sein, wenn der Tag beginnt und so hieß es möglichst zügig vorankommen. Man setzte sich ein Ziel von 10 Schritten, dann kurze Pause, dann wieder 10 Schritte und so weiter. Nicht denken, einfach nur gehen. Ich muss gestehen, dass es im Kopf eine der größten Herausforderungen war, an die ich mich erinnern kann.
Keine Ahnung, wie lange wir genau an dem Höllenabschnitt des Hangs unterwegs waren, aber als ein Franzose, windgeschützt hinter einem Felsen stehend, sagte: „Just 5 more minutes, you are almost there!“, war das ein unheimlich erlösendes Gefühl. Kurz darauf standen Doreen und ich nun endlich an einem Punkt, von dem aus es an diesem Flecken Erde nicht mehr höher ging. Wir hatten es geschafft!
Wir nahmen uns in den Arm und schauten uns dann nach einem Plätzchen für den bevorstehenden Sonnenaufgang um. Nach dem wir beim Aufstieg sicher viele Dutzend schutzsuchende Leute überholt hatten, waren von der laaangen Lampenkette, die wir noch vom Camp aus gesehen hatten, nur noch knapp 20 übrig geblieben. Wir setzten uns also und merkten recht schnell, dass es ohne die Bewegung sofort kühl wurde. Mit allen anderen hier oben warteten wir zitternd und sehnlichst auf das bald kommende, warme Sonnenlicht. Trotz der Kälte kann ich das Befinden nur so beschreiben … überwältigend.

Auch Daniel erreichte zu eigener und auch zu unserer Freude gerade noch rechtzeitig den Gipfel und konnte sich zum Sonnenaufgang zu uns gesellen. Wir genossen diesen für uns alle denkwürdigen Moment und reihten uns dann in die kleine Schlange zum obligatorischen Gipfelfoto ein. Derjenige, der gerade fotografierte, ist diesen Job nur schwer wieder losgeworden, den jeder weitere drückte ihm einfach nett lächelnd eine weitere Kamera in die Hand und stellte sich in Position. Prakitsches Utensil hier war das Schild, welches auch jedem, der später das Foto betrachten würde, sagt, wo wir waren … dem Puncak Mt. Rinjani 3726m … dem Gipfel des Mount Rinjani auf 3726 Meter Höhe.

Falls sich jemand fragen sollte, was diese spitze Ding im Hintergrund ist, möchten wir das natürlich kurz erläutern: Das ist der Schatten des Berges, auf dem wir gerade stehen.

Die Kür … der Abstieg zum Camp

Etwa eine Stunde verbrachten wir am Gipfel und das gucken wurde dabei nie langweilig. Das Licht änderte sich ständig und die Wolken zogen langsam weiter, gaben den Blick auf neue Sachen frei, während andere unter ihnen verschwanden. Darüberhinaus war es nun so warm, dass man auch im Sitzen nicht mehr fror.
Nichtsdestotrotz war die Zeit gekommen, den Rückweg zum Camp anzutreten. Laut Tourplan wartete auch nach dem Frühstück, das im Lager auf uns warten sollte, noch einiges an Weg vor uns. Wir machten also noch ein letztes Mal die Runde auf der Spitze des zweithöchsten aktiven Vulkans Indonesiens und begannen den Abstieg.
Der ging natürlich schon vom ersten Schritt an deutlich einfacher vom Fuß, als der Aufstieg in der Nacht. Die imaginäre Rolltreppe fuhr immer noch bergab, jeder große Schritt landete weich im vorher noch so verfluchten und gehassten Schotter, durch den sich nach wie vor viele Menschen nach oben quälten. Wir drei waren uns einig, das die Dunkelheit es eher einfacher gemacht hatte, da es mittlerweile richtig warm geworden war und man das Elend, welches noch vor einem lag auch ständig klar vor Augen hatte. Unverändert war aber der Wind und der Staub, den er mit sich brachte.
Auch Alan hatte sich inzwischen wieder eingereiht und folgte uns als letzter Mann nach unten. Obwohl wir recht oft stoppten, um die einfach nicht uninteressanter werden wollende Aussicht zu genießen, kamen wir gut voran. Gegen 9:00 Uhr nahmen wir zufrieden auf der Decke vor unseren Zelten platz. Seit dem Aufbruch hier waren knapp 7 Stunden vergangen, dreieinhalb brauchten wir bis hoch, zweieinhalb wieder zurück.

Nun aber gab es erst einmal ein richtiges Frühstück mit frittierten Bananen, Pancakes, Nutella und gemixtem Obst. Wir waren sehr zufrieden, aber schon ein wenig erschöpft.

Zum See und dann zum anderen Kraterrand

Obwohl der Plan eigentlich feststand, denn wir wussten natürlich, was wir gebucht hatten, stand nach dem Frühstück aus irgendeinem Grund von Seitens Alan die Frage im Raum, wie es heute nun weitergehen soll. Problematik hier war, wie sich am Vortag schon angedeutet hatte, dass unser Führer leider kaum bis gar nicht Englisch sprach oder verstand und darüberhinaus auch nicht die Aufgabe eines Führers erfüllte, nämlich zu leiten und zu informieren. Egal was man fragte oder sagte, alles wurde nett lächelnd weggenickt.
Wir versuchten ihm zu erklären, dass der Plan für den heutigen Tag vorsah, nach der Rückkehr vom Gipfel hinunter in den Krater zum See zu gehen und heiße Quellen zu besuchen. Er nickte wie immer und so stiegen wir ab in den Krater.
Das entpuppte sich als schwieriger, als zunächst vermutet, vor allem mit den Höhenmetern, die wir schon in den Beinen hatten. Dennoch kamen wir gut voran und erreichten gegen 13:00 Uhr das Ufer des Sees. Zur selben Zeit trudelten auch die Porter ein und suchten eine nette Stelle für das Mittagessen.
Unsere ursprünglichen Pläne, im See zu baden, verwarfen wir trotz der Mittagshitze recht schnell, denn auch hier zeigte sich eines der größten Probleme des Landes … der Müll. Überall, wo sich regelmäßig Menschen versammelten, wie z.B. an der Camping- oder den Pausenplätzen dieser Wanderung sammelte sich alles, was keine mehr brauchte. Vor allem Verpackungsmaterial und Getränkedosen lagen dort immer und überall in rauen Mengen herum. Während der erste Blick aufs Wasser noch zur Erfrischung einlud, offenbarte aber schon der zweite diverse äußerst scharfkantige Dinge, wie Dosenböden, auf dem Grund. Sehr sehr schade … wie das Land diese natürlich Attraktion ausbeutet, ohne für deren fortbestehen zu sorgen. Fraglich, ob man in 20 Jahren diese Wanderung so noch machen kann, ohne ununterbrochen in Abfällen zu stapfen!?
Wir ruhten uns also an Land etwas aus, bis wenig später Mittagessen serviert wurde.

Satt gegessen setzten wir die Pause noch etwas fort, während ein Teil der Porter schon aufzubrechen schien. Nach einer Weile Mittagsruhe wunderten wir uns allerdings, dass es von Seiten Alans keine Ansage zur weiteren zeitlichen Planung gab, da das Tagesprogramm ja noch nicht abgearbeitet war. Wir sprachen ihn also an und meinten, wir wäre soweit, aufzubrechen. Er lächelte nett und nickte, kurz darauf liefen wir los. Knappe 50m weiter dann der Schock: Die Porter, von denen wir dachten, sie wären weitergelaufen, hatten hier schon alle Zelte aufgebaut. Wir fragten Alan, was das soll, er aber verstand nicht recht und brachte zum Ausdruck, dass wir die Nacht doch am See bleiben wollten ..?!??! Zugegeben, an diesem Punkt war das Ende meiner Geduld und meines Verständnisses erreicht. Entgegen der ländlichen Gepflogenheiten wurde ich dann inhaltlich sowie tonal deutlicher und versuchte Alan zu erklären, was gerade gehörig schief zu gehen begann, schließlich hatten wir eine Tour und damit auch ein gewisses Programm gebucht und bezahlt, welches nun aber zu scheitern drohte. Aufgrund der leider bekannten Sprachbarriere kam aber nur das tonale bei ihm an und er war sichtlich eingeschüchtert. Ein Träger oder Führer einer anderen Gruppe gesellte sich dazu und versuchte zu vermitteln und vor allem zu übersetzen. Doreen sowie Daniel waren dabei meiner Meinung und am ende geschlossen vermittelten wir, gern beim ursprünglichen, gebuchten Plan bleiben zu wollen. Für die wirklich sehr hart arbeitenden Porter tat uns das natürlich leid, da sie nun das Camp wieder zusammenpacken mussten, um es am Abend auf dem gegenüberliegenden Kraterrand erneut aufzubauen.
Die heißen Quellen und der Weg hinauf, zum von vornherein geplanten Camp, standen nun noch an, wobei Alan uns nun vermittelte, dass für die heißen Quellen keine Zeit mehr sei, da der Aufstieg wohl knappe 4 Stunden dauern würde. Wir drei Gäste waren darüber sehr enttäuscht, da wir ja gerade über eine Stunde herumgesessen haben, die man natürlich problemlos auch zum entspannten warmen Baden in diesen Quellen hätte nutzen können. Als wir kurz darauf herausfanden, die natürlich Badewanne wäre keine 10 Minuten zu Fuß vom Mittagslager, wurde aus der Enttäuschung schon ein bisschen Wut.

Mit dieser Wut im Bauch traten wir also den letzten Gang für heute an. Doreen und ich setzten uns recht schnell wieder vom Rest der Gruppe ab und machten uns somit nicht nur räumlich, sondern dann alleine auch mental etwas Luft und versuchten wieder, die tolle Umgebung zu genießen.
Nicht etwa 4, sondern keine 2 Stunden später gegen 16:45 Uhr war der Kraterrand erklommen, das Bad wäre also mehr als im zeitlichen Rahmen gewesen … erneut schade!

Ein leicht versöhnlicher Abend

Daniel hatte den Aufstieg mit Alan genutzt, um zu versuchen, ein bisschen mit ihm zu reden, ihm noch mal in Ruhe zu erklären, wie wir die Situation erlebt hatten bzw. wie es aus unserer Sicht zu dieser Situation gekommen war. Als die Beiden und die Porter dann ebenfalls oben ankamen, entschuldigte sich Alan für alles … ob er verstanden hat, wofür, werden wir wohl nie erfahren.

Wie auch immer, es gab ein leckeres Abendessen. Gebratener Reis mit Gemüse und Hühnchen wurde direkt ins Zelt serviert. Nach 14 Stunden zu Fuß zog es uns drei bei dem auffrischenden Wind recht schnell in die warmen Schlafsäcke. Zur Feier des letzten Abends genehmigte ich mir auch ein bisschen Bram, den indonesischen Reiswein.
Es war ein Tag der Höhen und Tiefen, im wortwörtlichen und gleichzeitig auch übertragenen Sinne. So oder so ein Tag den wir alle nicht so schnell vergessen werden.